Die Ausstellung Safari bringt zwei fotografische Positionen zusammen, die auf unterschiedliche Weise dem dokumentarischen Charakter der Fotografie verbunden sind. In der Beschäftigung mit dem alltäglichen Umfeld sind sich die beiden Ansätze ähnlich, der fotografische Gedanke ist aber ein grundsätzlich anderer. Während Hake in der aktuellen Arbeit Fairplay den klassisch dokumentarischen Ansatz nutzt und in verschiedenen Städten unterwegs ist, fotografiert Schlüter in seiner Arbeit Routine & Indifference täglich wiederkehrende Szenarien und nutzt dieses Ausgangsmaterial, um seine Motive durch Bildbearbeitungen zu variieren. In der Ausstellung öffnet und verengt sich der Blick gegenüber unterschiedlichen urbanen Räumen.
Fairplay
Eine Arbeitsgesellschaft suggeriert eindeutig: Leistung führt zu Erfolg. Die Logik der Arbeit verspricht gesellschaftliche Teilhabe, Selbstverwirklichung und Anerkennung. Zufall und Glück spielen in dieser Gleichung keine Rolle. Es herrscht die Idee einer umfassenden Verantwortlichkeit eines jeden Einzelnen. Niederlagen oder Erfolge sind immer „selfmade“ und abhängig vom Maß an Kontrolle, Entscheidungsfreude und Eigenständigkeit. Die unüberschaubare Menge an Faktoren, die eine gesellschaftliche Position beeinflussen, werden häufig verschwiegen oder verdrängt. Alle folgen ihren eigenen Wegen, Instinkten und Notwendigkeiten, formulieren und erreichen ihre Ziele inmitten von vermeintlichen Statisten, die allerdings derselben gesellschaftlichen Projektion unterworfen sind. Arbeit und Glücksspiel, Erfolg und Lotterie, Büros und Spielhallen sind getrennte Welten. Caroline Hake zeigt in ihrer Serie Fairplay (2024) diese Orte als alltägliche urbane Szenarien. Zu finden sind sie in den Nischen der Stadt, an den Seiteneingängen der Bahnhöfe oder an Fernstraßen und Rastplätzen.
Routine & Indifference
Routinen sichern tägliche Abläufe und leiten das Bewusstsein im Tagesablauf von Punkt und Punkt. Gegen das Bedürfnis nach Struktur arbeitet die Indifferenz, die durch ständige Wiederholung bekannter Alltagsbilder entsteht. Maik Schlüters Arbeit Routine & Indifference (2024) ist zu einem guten Teil der Müdigkeit und Erschöpfung geschuldet: Halbschlaf, Dösen, Tagträumen und ein latentes Gefühl der Aushöhlung sind einige Zustände, die das emotionale Set dieser visuellen Auseinandersetzung umreißen. Der Blick fällt auf die immer gleichen Architekturen, doch verschoben, überlagert, gestört im Modus des aufgezwungenen täglichen Weges. Routine & Indifference ist eine visuelle Entsprechung sozialer und räumlicher Gleichförmigkeit, eine verschwommene Sicht auf Grundsätze und Infrastrukturen: fotografieren, radieren, übermalen, auflösen.
Routine & Indifferenz
Schienenstränge, Masten, Bäume, Gebäuderückseiten, Güterzüge, Felder, Industriebauten, Bahnhöfe und zufällige Haltepunkte markieren das visuelle Repertoire einer täglichen Fahrt. Übermüdung, Halbschlaf, Tagträumen und ein latentes Gefühl der Aushöhlung sind einige Zustände, die das emotionale Set der visuellen Auseinandersetzung umreißen. Der Blick ist ein geschulter, der noch aus dem Augenwinkel und in der Vorüberfahrt fokussiert, bewertet, merkt und repetiert. Ein unausweichliches visuelles Abarbeiten im Modus des täglich wiederholten Weges. Den Gedanken zu verlorener Zeit folgt ein mediales Eingreifen: fotografieren, radieren, übermalen, auflösen. Das Bild als Zwang oder Manie. In den tieferen Schichten klingen Formen und Farben, Horizontlinien und Fluchtpunkte, Flächen und Texturen und die Skelette von Architekturmodellen mit. Routine und Rückkopplung. Indifferent ist die Technologie: die Kamera als Feature, das Bild als Display, Tools und Filter konterkarieren die Arbeit am Bild. Die digitale Verdichtung ist eine Befreiung, die vermeintlich fehlerhafte Bedienung ein vielschichtiger Prozess. Jedes Wegnehmen ist auch ein Hinzufügen.
Es ist auch der zufällige Halt an einem Verkehrszeichen: ein Stopp kurz vor der Einfahrt. Die Rückführung auf einen immer gleichen Punkt. Das Gefühl, von einem Gebäude verfolgt zu werden. Der Blick fällt auf ein Zwischenfeld und entdeckt eine unbekannte Form, eine Art der räumlichen Invertierung, ein unscharfes Erblicken von Strukturen, die dann in Segmente zerfallen. Ein Moment zwischen wabernder Unschärfe und Brüchen im Raumgefüge. Die überdehnte Fantasie erzeugt urbane Mutationen einer Stadt mit wandelbaren Fluchtpunkten, zerschossenen Fassaden und zersetzter Infrastruktur.