Hubert Beckers Arbeitsweise berührt Fragen des Archivs, nach Original und Kopie, Prozessen der Aneignung und Übersetzung: Kanonische Werke der Kunstgeschichte baut er detailliert in Modellen nach, um sie anschließend in einer Fotografie der Abbildung des Originals so ähnlich wie möglich zu machen. Das Modellieren nimmt oft Monate in Anspruch. Diese in der performativen Aneignung zum Tragen kommende Zeitlichkeit verändert das Wesen eines Motivs grundlegend. Die Herstellung einer Skulptur als einer Zwischenstufe ist ein Akt der Übersetzung, insofern es sich bei den nachgeahmten Originalen um so unterschiedliche Dinge wie Fotografien von Straßenzügen, abstrakte Malereien oder auch Objekte handelt. Unabhängig von diesem Ursprung wird jedem dieser Werke eine räumliche Dimension hinzugefügt, die es in der entstehenden fotografischen Arbeit wieder verliert. Was in der Ausstellung zu sehen ist, ist lediglich die Spur, die Dokumentation dieses Prozesses.
Nach der Ablichtung wird das Modell zerstört. Die Kunstwerke erreichen uns ohnehin zuerst als fotografische Reproduktion. Damit wird klar: Eine Kopie ist niemals eine „Kopie“. Indem sie eine Maschine, eine technische Apparatur, einen Denkprozess oder auch eine Institution durchläuft, hat sie ihren Charakter, ihr Verhältnis zur Welt fundamental verändert. Woran aber ist diese Veränderung zu erkennen? Ist sie zu erkennen? Ist sie kenntlich zu machen? Von der minimalen Perspektivverschiebung, die sich entlang der Formen, aus Aspekten der Fälschung, Methoden der Einverleibung einstellt, bleibt in Hubert Beckers Bild eine winzige Lücke: Das ist die Unschärfe, die sich aus jeder Übersetzungsleistung ergibt, die Überführung einer Sprache in eine andere. Die Betrachtenden sind gezwungen, die Unterschiede zu suchen. An den Grenzen dieser Zeichensphären werden Verhandlungen, Neubestimmungen und Feinjustierungen möglich.
Das Moment der Brechung ist auch das zentrale Motiv in Kati Fabers Fotografien. In einem spirituellen Sinne visualisiert sich hier ein Übergang, der sich nicht in den dargestellten Dingen erschöpft, sondern die Spanne zwischen Leben und Tod, Phänomene des Alterns, der Transition in atmosphärisch dichte Landschaften fasst. Kati Fabers Arbeiten werfen einen nachdenklichen Blick auf diese Landschaften. Sie finden sich in verstaubten Wein- und Sektgläsern einer lange zurückliegenden Party wie in den Vorhängen am Ende eines Treppenaufgangs. Wo die Natur selbst zum Gegenstand wird, brechen Tretboote in Schwanenform oder Düsenjets in Nebelmeere, Vogelschwärme, wilde Gärten ein. Oft ist die Natur in irgendeiner Weise Teil einer „Szene“.
In zahlreichen Bildern gibt es ein Memento Mori, das heute nicht mehr ohne Ironie zu lesen ist. Klassische symbolische Einheiten sind dieser Brechung unterworfen: Der Regenbogen über einem rauen Seeufer wird nicht nur durch die Glasscheibe verdoppelt – der Spalt, der sich daraus ergibt, wiederholt sich in dem rahmenden Vorhang wie in einem Theater. Die Natur als Bühne, aber hinter Glas. Niemand vermag zu sagen, welches dieser Lichtphänomene denn eigentlich das „Wahre“ wäre – beide sind sie gleich immateriell. Das ist es, was die Unschärfe ausmacht: another belief – ein Anderes, ohne dass genauer bestimmt wäre, worin es eigentlich besteht. In dieser Lücke lebt der Möglichkeitssinn.
– Marcel Raabe 2020