„Durch Glaswände kann man die Sterne und den Regen sehen“
Gilles Ivain 1953
CREATE – wenig kunstvoll auf eine Rampe gesprüht, daneben das professionellere Stencil eines einzelnen Inlineskaters, auf der anderen Seite Lautsprecher und ein Mülleimer, in dessen Schutz Löwenzahn und Gräser wachsen, sich Laub ansammelt. Im Vordergrund ist ein Gullydeckel per Stencil aufgetragen und auf einer vom linken Bildrand angeschnittenen Wand wurde dekorativ plakatiert. Auf der Rampe liegt eine Kamera, die motivisch eine Werbung im Hintergrund aufgreift, aber auch die Perspektive aus dem Foto heraus auf mich lenkt und damit die Aufforderung CREATE dringlicher macht. Über der Rampe eine moderne Sicherheitstür, und glatte Oberflächen, die eine neue Architektur suggerieren. Es ist eine Ecke im Stadtraum, die Timo Hinze motivisch seiner Ausstellung Arbeit voranstellt, und es ist seine künstlerische Arbeit, die er hier inszeniert. Seit seinem Studium an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst fotografiert Timo Hinze die städtische Oberfläche. Bauzäune und Werbeflächen, Fassaden und klandestin gesprühte Kommentare beobachtet und dokumentiert er gleichermaßen. Man hat den Eindruck, es geht ihm um das Festhalten zufällig wirkender Szenen, intendierter und nicht intendierter Settings, die aufschlussreich von der täglichen Prägung und Programmierung im Stadtraum erzählen.
Für die Videoarbeit „Post-it“ beispielsweise suchte Timo Hinze Bilder und kurze Nachrichten, die ganz analog mit Post-its von innen an die Fensterscheiben von Bürohäusern geklebt werden. Aus der Perspektive des Fußgängers filmt er die Rastergrafiken an den Fensterreihen der oberen Etagen, verfolgt mitunter auch Kommunikationen gegenüberliegender Hausfronten. Auf den ersten Blick wirkt diese vernakuläre Kreativität amüsant, stiftet zum Mitmachen und Kommentieren an. Zugleich irritiert die räumliche Distanz und Perspektive, aus der Timo Hinze seine Motive aufnimmt. Denn es fällt gar nicht leicht, die Zeichen zu verstehen, von Beantworten ganz zu schweigen. Als Display genutzt werden die Fenster einseitig zum Medium, um Signale in die Außenwelt zu schicken. Deutlich werden hier aber auch die Einschränkungen der Kommunikation, die von der räumlichen und zeitlichen Organisation des Arbeitstags hinter hermetischen Glasfassaden gemacht werden.
Nicht nur der Alltag in den modernen Bürowelten interessiert Timo Hinze. Er folgt auch den Spuren der Gartenarbeit seiner Eltern oder den zufälligen Begegnungen verschiedener Dinge auf dem Ess- und Arbeitstisch in seiner Wohnung. Es sind banale Settings, die nichtsdestotrotz über einen geheimnisvollen Informationswert zu verfügen scheinen. Als würde man mit archäologischem Interesse auf die Spuren des Alltags blicken, und aus den Resten, aus der Platzierung der Dinge, die Welt rekonstruieren.
Einen Gegenpol zu den Medien Fotografie und Video bilden kleine Tonfiguren, bei denen Timo Hinze einen handwerklichen Kreationsprozess realisiert, der eine lange Tradition hat. Dem pathetischen Schöpfungsgestus, Figuren aus Erde zu formen, weicht er aber aus, indem seine Geschöpfe wenig grazil und wenig produktiv mit dem Liegen beschäftigt sind. Das allerdings deklinieren sie in all seinen Facetten durch: Sie schlafen oder faulenzen, sie ruhen sich aus oder sind krank, und sie heben sich deutlich gegen den städtischen Aktionismus ab, den Timo Hinze in seinen Fotoserien thematisiert. Aber Arbeit macht es schließlich auch, sich aufzurichten, aus der Vertikalen in die Horizontale zu kommen. Und mit dieser Bewegung werden die Tonfiguren zu Sinnbildern eines Neubeginns, der letztlich zu den städtischen Streifzügen führt.
Matilda Felix Kuratorin, Sammlung Marx, Berlin