In einem Text, im Jahr 2009 verfasst für die Publikation Finanz Zeit* schreibt
Holger Otten: „Anlass und Überlegung zu den Arbeiten Papier von Doris
Frohnapfel waren historische Fotografien vom internationalen Börsenparkett.
Hier ließen einst die Händler die Zettel ihrer Aktienverkäufe wahllos fallen,
so dass sich der Boden im Laufe der Zeit je nach Börsenaktivität mal mehr
und mal weniger füllte. Was im Sinne Marx abstrakt ist – der Wert hinter dem
Papier – erscheint auf dem Parkett ganz gegenständlich. Was auf den Börsenfotos
gegenständlich ist, wird in Frohnapfels Collagen und Fotogrammen wieder
abstrakt. Die Künstlerin reinszenierte das Flattern der Zettel, fotografierte es,
um schließlich nach dieser Vorlage neue Kompositionen zu finden. Dieses
Verwirrspiel von Gegenständlichkeit und Abstraktion kann als Sinnbild
ökonomischer Ohnmacht gelesen werden. Doris Frohnapfel begegnet dieser
Verwirrung mit einem künstlerischen Statement: Jede Kunst ist abstrakt und
doch nicht ohne Gegenstand. Schließlich gehe man nicht von einem Nichts
aus.“
Ob es Orte sind, an denen Menschen unter tragischen Umständen zu Tode kamen („Matter of Fact“, 1995), die neuen Grenz-Gebilde Europas („Border Horizons“, 2004) oder das internationale Börsenparkett („Papier“, 2009 ff.) – Gegenstand der Spurensuche und des Spurenlegens von Doris Frohnapfel ist die Differenz des Bildes selbst – die Differenz zwischen dem, was sich zeigt und dem, was gezeigt wird. Hierbei geht es immer auch um historische und politische Implikationen, die sich als vermeintlicher Zufalls- und Wahrheitsgehalt der Bilder darstellen, wie zum Beispiel in „Herdla“, einem alten Wehrmachtsflughafen in Norwegen („Photoworks“, 2002) oder in den Vororten von Brüssel („Cites Banlieues“, 1993/2003).
Gemäß dem Denkspruch „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ schärft Doris Frohnapfel mit ihren Arbeiten das kritische Bewusstsein für die bildliche und sinnbildliche einer bloß augenblicklichen Erscheinung. Selbst in ihren Collagen und Installationen bewahrt sie stets einen fotografischen Blick, der sich je nach Annäherung an den Gegenstand erzählerisch, dann wieder dokumentarisch oder assoziativ im Werk niederschlägt.
PAPIER (PARKETT/FLOOR und FG 26-39)
Im großen Raum der Galerie b2_ werden verschiedene Varianten und Formate zu „Papier“ gezeigt. Die großen Papierarbeiten beziehen sich auf eine Räumlichkeit des vorne und hinten bzw. oben und unten, enthalten sich aber einer eindeutigen geometrischen Perspektive. Die weißen Papierschnitte auf schwarzem Karton bieten an sich schon einen Vergleich mit den übrigen schwarzweißen (Ab-) Drucken und Formulierungen an. Zur Betonung der Komplexität des künstlerischen Vorgehens entstand Anfang 2011 eine Kopie der Papierarbeit „Parkett/Floor Nr. 1“ mit dem Titel „Parkett/Floor Nr. 1b“, die hier erstmalig gezeigt wird. Im Ausstellungsraum lässt sich die Analogie nur – oder nahezu nicht – über die Distanz der sich gegenüberliegenden Wände erfassen. Ebenso vom Konzept der Kopie, des Abdruckes oder der Nachbildung abgeleitet, wurde bereits 2009 eine Serie von kleinen Fotogrammen (FG 01-25) hergestellt. Das Fotogramm, eine direkte Belichtung von lichtempfindlichen Materialien wie Film oder Fotopapier (ohne Kamera) ausgeführt – bekannt als Vorläufer der Fotografie und in der Regel ein Unikat, der Monotypie bei den grafischen Techniken vergleichbar, im Gegensatz zur technischen Vervielfältigung der analogen und digitalen Fotografie – erfährt in der neuen Serie (FG 26-39) von 2011 eine weitere serielle Umgestaltung. Die, im analogen Schwarzweißlabor erzeugten, Fotogramme erhalten eine manuell hergestellte Papier-Kopie als Gegenstück – weiße Papierschnitte auf schwarzen Passepartoutkarton. Würde der eine Fall als eine Auseinandersetzung mit dem Wert des Geldes als Papierwert usw. gelesen, könnte der andere dem Verhältnis des Wertes von Original und Kopie nachgehen.
FOTOGRAFIEN I: THE RETURN OF INVESTMENT
Die Arbeiten im kleinen Raum der Galerie b2_ führen zum narrativen Moment der Idee (des Werkgedankens / der Reflexion). Für das Ausstellungsprojekt „The Return of Investment“ beschäftigte sich Doris Frohnapfel mit der Mentalitätsgeschichte des Kapitals.
Die dokumentarischen Fotografien, im Werk der Künstlerin bereits selbst „Geschichte“, wurden während eines New York-Aufenthalts im Jahr 1997 recherchiert und fotografiert. Sie zeigen einige jener Orte, an denen sich die Geschichte New Yorks schichtet: das Steinrelief auf dem Fahnenmastsockel im Battery Park zeigt den Deal Peter Stuyvesants mit einem Vertreter der Ureinwohner über den Kauf der Halbinsel Manhattan für eine handvoll Perlen; der Broadway, ehemals der Indianerpfad Algonquin Trail schlängelt sich noch heute diagonal durch die Rasterstadt; und der Washington Square, an dem sich die Tabakfelder der Indianer und das Sapokanikan Village befanden, ist als Platz des Drogenhandels bekannt.
Während sich die Künstlerin bei „Papier“ mit Sinnbildern des abstrakten Verhältnisses zwischen Kapital und Warenfluss befasste, wie sie einst im Innenraum oder besser im Innenleben der (New Yorker) Börse in Erscheinung traten, wendet sie sich hier der näheren Umgebung der Wall Street zu. Frohnapfel legte historisch gewachsene „Schichten“ aus dem Zusammenhang von Geld- und Menschenhandel frei. Die perfide Beziehung von Kapital und Körper sowie deren Verschleierung durch die Abstrakta des modernen Finanzwesens – zu denken sei z. B. an die Vokabel „Humankapital“ – konkretisieren sich in den historischen Schichten der vorgefundenen Orte. So geraten Frohnapfels ”archäologische Artefakte” denkwürdig aktuell.
VIDEOSKULPTUR: OWN YOUR SHARE OF BUSINESS
Das Modell eines Planwagens („Own your share of Business“, 2010), Sinnbild für die Besiedelung und Besatzung des amerikanischen „Westens“, ist ebenso ein Relikt der Geschichte – und lässt zugleich an die Karre der „Mutter Courage“ in Brechts Drama denken. Die Projektion im Planwagen zeigt einen Zusammenschnitt aus historischen Filmaufnahmen der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts zur Zeit des bekanntesten Börsencrashs der Weltgeschichte an der Wall Street und aus der Dokumentation eines Patrouillen-Rittes in der Wüste an der syrisch-jordanischen Grenze durch Beduinen. Einerseits zeigen diese Motive einen extremen Kontrast zwischen Stadt und Land, andererseits verweisen sie aber auch auf die Nähe von Menschen- und Rohstoffkapital zu Zeiten der Moderne, der Postmoderne und des „Empire“.