Europabad
Die Palme ist eine Pathosformel der Sehnsucht; als Topfpflanze, Fototapete oder Promenadendekoration in Kübeln am Wegesrand. Sie verheißt eine Freiheit, die sie als domestizierte Nutzpflanze in Bananenplantagen ebenso wenig hat wie der Tourist in eingefriedeten Hotelanlagen, SUVs in wilden Gegenden oder hier: im Glaswürfel der Raucherinsel auf der Fähre »Norröna« zwischen den Färöern und Island.
Die dem Wind und Salzwasser, Sonnenlicht und Rauch ausgesetzten Deko-Palmen sind aus Plastik. Mit abblätternden Kunststoffoberflächen, Farbirritationen und verblichenen Flecken gibt ihnen die gnadenlose Witterung eine Art Natürlichkeit zurück. Oder ist dieser Effekt ein kalkulierter? Hat der Hersteller mit den abgeschnittenen Blättern die typischen Spuren der Zimmerpflanzenpflege bewusst mitsimuliert?
Romy Julia Kroppes Gemälde sind Sammlungen zerzauster Zwittergegenstände zwischen eingerichteter Landschaft und Pflanzen als Interieur. Die Menschen selbst sind in ihren Bildern nicht zu sehen, aber was sie tun oder nicht tun, was sie verlieren oder passieren lassen, ist allgegenwärtig. Die Treppenfliesen am Fuße eines Felsens im Elbsandsteingebirge, Plastikabfälle am Strand einer Atlantikinsel, Fischtreppen in Felsspalten oder Miniaturwildnisse auf Verkehrsinseln machen Übergänge zwischen Natur und Kultur, Unterwerfung und Verwitterung sichtbar.
Indem sie sowohl ihre Motive als auch das Arbeitsmaterial einer ausufernden Beschäftigung unterwirft, verdichten sich Romy Julia Kroppes Bilder zu emblematischen Szenen: Eingriff, Inszenierung und Zerfall. Neben der Malerei bezieht Kroppe andere Verfahren in ihre Arbeitsweise ein. Per Acryl-Transfer überträgt sie in ihrer Serie »Strand« Ausschnitte ihres Fotoarchivs zur Weiterbearbeitung auf die Bildfläche. Damit wird der konzentrierte Blick als Sehweise nicht nur weiterer Reflexion unterzogen, sondern mittels Zufall, Manipulation und Materialästhetik malerisch weitergeführt.
Sehnsuchtsnamensgebungen wie »Europabad« erzählen von Kurorten und Erlebnisbädern, Wellness-Salzgrotten und gesundheitsfördernden Quellwassern. Sie markieren auch auf der sprachlichen Ebene die Schwellen, an denen verschiedene Zustände ineinander übergehen.
Marcel Raabe, 2020