Die Fotografien für das Projekt sind zwischen 2009 und 2013 in Norwegen entstanden. Als erstes Land der Welt hat Norwegen den Vaterschaftsurlaub bereits 1993 eingeführt. Mittlerweile sind 14 Wochen Elternzeit für Väter vorgesehen und werden in den meisten Fällen auch in Anspruch genommen.
Dieser gesellschaftspolitische Kontext schwingt in Verena Winkelmanns Bildern durchaus mit, allerdings auf subtile Weise, denn abbilden tut sie ihn nicht. Stattdessen zeigt sie uns das, was ›nahe‹ liegt: Väter mit ihren Kindern, wie sie sie halten und für sie da sind. Einfach so. Und doch alles andere als einfach, denn eine Bildtradition, ein visueller Code von ›Väterlichkeit‹, eine Vater-Kind-Ikonographie steht dabei nicht zur Verfügung.
Fathers reflektiert dieses Problem der Abbildbarkeit auf differenzierte Weise. Es sind intime Einblicke in den Mikrokosmos und fragile Augenblicke des Alltags, die sich dem Betrachter darbieten. Dabei entwickelt Verena Winkelmann eine eigene fotografische Bildsprache, die man vielleicht am treffendsten als ›Ästhetik des Naheliegenden‹ bezeichnen kann: eine Ästhetik, die auf klare Formen setzt und zugleich ›berührt‹, in der der Körper von Gewicht ist.
Die physische Nähe zwischen Vater und Kind steht im Fokus; immer wieder geht es um das Halten und Zusammenhalten. Diese klare Körperlichkeit erzeugt eine Präsenz auf der Bildoberfläche, die auch für den Betrachter fast mit Händen zu greifen ist. Fathers spielt dabei auch mit unseren Erwartungshaltungen und inneren Bildern. Man kann sich erinnert fühlen – an die Plastik der Antike oder die bewegten Figuren des Barock, an die Porträtmalerei der Renaissance, an tradierte Marien-ikonographien oder den dokumentarischen Gestus der humanistischen Fotografie. Und man kann sich davon irritieren lassen – auf eine konstruktive und produktive Weise, denn das Spiel mit Bild- und Formzitaten ist auch ein Spiel, das konventionelle Begriffe von ›Mütterlichkeit‹ und ›Väterlichkeit‹ verunsichert.
Fathers kann man vor allem als ›Essay‹ verstehen: als fotografischen Gedankenspaziergang, bei dem es nicht darum geht, eindeutige Antworten vorzugeben oder neue Ikonen zu schaffen.
Stephanie Bremerich