Galerie b2

Fold out, Up close

Gerade wollte ich dich anrufen und dir erzählen, was mir heute mit diesen Bildern passiert ist, was ich deswegen gedacht habe:
Nähe verhindert ein alltägliches Sehen. Geh ganz nah an einen anderen Körper heran, dann tritt dieses jetzt-besondere Sehen ein. Es unterscheidet sich von dem, was sonst und ständig getan wird, es ist ein intensives Erlebnis.
In der Nähe ist nichts mehr glatt, alles ist offen, samtig, rau, porig. Die nun vorhandene Menge an Informationen verhindert, dass die Wahrnehmung noch einen Umweg über Einordnung, Vergleich und Reflexion machen kann. Die bewusste Verarbeitung der Wahrnehmung kann nicht mehr stattfinden, es ist nur ein wahrnehmendes Bewusstsein vorhanden. Nähe führt dazu, dass Eindrücke aufgenommen werden – dieser Vorgang gleicht nicht dem Beobachten und auch nicht dem Sehen. Und damit auch nicht dem Alltäglichen. Alltag entsteht durch Einordnung, Vergleich und Reflexion. Muss eine Person das aufgrund von Dichte und Eindringlichkeit der wahrgenommenen Informationen übergehen, bewegt sie sich im Unbekannten. Denn ohne Einordnung, Vergleich und Reflexion gibt es keinen Bezug zum Bekannten, keine Relationen. Neben der verständlichen Furcht vor dieser Ungewissheit ist es ein Anschein von Unmittelbarkeit, der dabei eintritt und der später oft als angenehm erinnert wird. Mir kommt es so vor, als ob es diese Abkehr vom alltäglichen Sehen hin zum unmittelbaren Aufnehmen ist, die Menschen sich nach Nähe sehnen lässt. Ich jedenfalls sehne mich nach Nähe. Nähe als ein konkret-poetischer Vorgang, einer von dem nicht viel mehr gesagt werden kann, als das Sprache als reflexives Medium ihn nicht abbilden kann. Solcher Text ermöglicht Nähe nicht, er kann sie umschreiben, die dann eintretenden Vorgänge beobachten, aber er kann sie nicht erzeugen. Bilder schaffen Nähe vielleicht leichter. Nah an ein Bild heran zu gehen, ist vielleicht wie nah an einen anderen Körper heran zu gehen. Später fiel mir ein, dass eigentlich die Übertragung von Unmittelbarem in ein anderes Medium nicht gelingen kann. Es muss etwas zweites Unmittelbares gegeben werden, welches dem ersten Unmittelbaren entspricht. Sich reflexiv mit Nähe zu beschäftigen, ist schwer, wenn es gelingen soll, muss neue Nähe geschaffen werden. Geh ganz nah an einen anderen Körper heran – Bilder können nur eine Wiederholung sein, aber sie kann wohl genauso intensiv werden. Und dann gibt es in dieser Nähe es nur noch Unebenheiten, Veränderungen, Unterschiede, keinen Rand, eine Ineinanderübergehen von Einem ins Andere. Es gibt keine gewohnten oder ungewohnten Formen oder Posen, alles ist ohne Vergleich. Aussehen ist egal. Entdecken, Aufnehmen, Fassen, Umschließen, Erfahren, in Ruhe lassen, Sein lassen sind dabei die Tätigkeiten. Bei alledem habe ich wohl die ganze Zeit an Erfahrenes gedacht. Und daran, dass es gut ist, dass ich mich in der Nähe manchmal an die letzten fünf oder zehn oder zwanzig Minuten nicht erinnern kann. Diese Direktheit, ich habe sie hier finden können. Ich musste erinnert werden, weil ich mal wieder vergessen hatte, wie kraftvoll das ist, wie weit weg vom Alltag, von Reflexion, wie notwendig aber beides ist. Das also hätte ich dir gerne erzählt, während du neben mir sitzt, vor mir stehst, da hinten auf der Matratze liegst, oder wenn wenigstens am Telefon deine Stimme hörbar ist: Nähe verändert alles.

Johannes Listewnik

97,5 × 145 cm, Auflage 5 + 2 a.p. Ink-Jet auf Tapetenflies auf Aluminium