Die Weide
betrachtet umgekehrt
das Bild des Reihers.
Die Weide
betrachtet umgekehrt
das Bild des Reihers.
-Bashô, 17 Jh
Dienstag, 9. März: J krank, Mam?, L Schulausflug 9.20, Atelier, Jugendamt,
15.00 Meissen Porzellanmanufaktur, Jan anrufen! Bio Fleischbestellung, Gemüse?
Platzkarte 21 35 20.00
Mittwoch, 10. März: L. Schulausflug, E Hort 10.00, Regenkleidung, Monika 59, Schrift
neu, Gruppenausstellung b2, Bot. Garten Petersdom, Testacio 9, ‚Enzo’, Elterngespräch,
Angebote Abschlüsse, Schulfremdprüfung 19? TAL R 20 Spinnerei, Physio
Diese letzen Zeilen sind geklaut. Schlimmer noch, an den Anfang einer Einführung zur
Ausstellung ‚Oberfeld’ von Katharina Immekus zitiere ich hier Zeilen, die eigentlich
in die nächste Ausstellung in dieser Galerie gehören und quasi eine Vorschau sind.
Ich tue das, weil diese Zeilen auf ganz einfache und beeindruckende Weise darlegen,
dass Zeit und die Programmierung von Zeit, ein entscheidender Faktor im Leben der
zeitgenössischen Mutter sind, deren Alltag zerrissen ist zwischen Anforderungen auf
den unterschiedlichsten Ebenen, zwischen kreativem Prozess und profaner Organisation
des Lebens. Da bleibt wenig Zeit, für einen Austausch mit noch anderem und anderen,
wenig Zeit, Situationen angemessen zu reflektieren. Zeitgeist und zeitgenössische Technik
aber helfen – denn einen Moment in einem Foto als Bild festzuhalten, das geht schnell,
zumindest dann, wenn man den Moment oder das Bild zu sehen vermag. Das Bild ganz
alleine sagt dann viel und es überdauert den Moment.
Katharina Immekus kann sehen, sie kann sehr gut sehen. Sie sieht Bilder, noch wichtiger
aber, sie versteht Bilder und eine Abfolge von Bildern erzählen eine Bildgeschichte
und ein Austausch dieser Bilder baut einen Bilddialog auf, dichter und umfassender
als Worte das tun könnten. Die Bilder sind Schnitte aus dem Alltag zweier Leben, die
unterschiedlicher fast nicht sein könnten, obwohl Kindheit und Jugend und die hier
entstandene Prägung erstaunliche Parallelitäten aufweisen, so dass es eine gemeinsame
Basis und den für den Dialog notwendigen Referenzraum gibt, die Bilder gegenseitig
lesen zu können.
2000 Bilder, 100 aus diesen in mindestens 100 Ausscheidungsrunden von ihr ausgewählt
und schließlich 13 von diesen von ihr gemalt in unterschiedlichen Formaten.
Das Gemälde, mit nur geringer Differenz zum Vorbild veredelt das ursprüngliche Foto
und übersetzt es unmerklich. Der Akt der Malerei wird zu einem Akt der Liebe gegenüber
dem Moment, der kurzen Sekunde des eingefangenen Blicks und erst der Prozess des
Malens gibt dem kurzen Moment, dem Blitz, die verdiente Wertschätzung. Die Motive
sind banale Momente des Alltags, Schnitt und Übersetzung machten sie zu etwas
besonderem. Es entstehen Gemälde, die soweit in sich und der Situation gefestigt sind,
dass sie den Betrachter eigentlich gar nicht brauchen und ihn so auf wunderbare Weise
in Ruhe lassen.
Sie heißen: Markkleeberg | Klosterwiese | Feuer | Vorgarten | Bahndamm | Basel | Dach |
Ast | Durchgang | Akropolis | Drei | Rhein | Spiel | ICE
Das gemalte Bild erst hebt drei Quitten aus dem profanen Chaos einer Küchenlandschaft
heraus und gibt ihnen die entsprechende Würde. Es hält das schnelle Spiel zweier Katzen
fest, das Lodern eines Feuers im Dunklen, es gibt der Algarve auf dem Betonsockel
und neben der Holzstütze asiatische Anmut, beobachtet das Fohlen in der Ferne beim
Weiden, macht die Tramfahrt über die Brücke an einem nassen Regentag zu einem
verzauberten Moment. Es zeigt das Blau des Himmels im Wasser um die Fontäne, die
Lichte und Schichtung der Waldlandschaft und erkennt in der banalen Umgebung eines
ICE Abteils die landschaftliche Korrespondenz zum dahin gelegten Seidentuchs.
Katharina Immekus unterschiedliche Schaffensphasen sind jeweils von einer
wechselnden Technik begleitet, die sich durch die Inhalte bedingt. Das Entstehen eines
Bildes, eines Projekts oder einer Bildreihe betrachtet sie als grundsätzliche Fragestellung
an sich selbst, sie nennt es eine ‚Versuchsanordnung’ und hat dabei Freude, sich auf
Fragen einzulassen, deren Antworten und Ausgang sie nicht kennt. Dabei lässt sie sich
nicht nur vom subjektiven Instinkt ihres Künstlergenies leiten, sondern arbeitet analytisch
und reflektierend bis zu dem Punkt, an dem sich die Einzelteile der Versuchsanordnung
quasi von alleine zu einem neuen Sinnzusammenhang fügen. Ihre Motive sind stets von
profaner Art, Katharina Immekus interessiert sich für das Alltägliche. Immer sind ihre
Projekt von Anbeginn so überlegt, dass die Form der Präsentation des neuen Bildes eine
entscheidende, konzeptionelle Rolle spielt.
Den Bilderzyklus ‚Oberfeld’ malt Katharina Immekus gegenständlich – es sind Ihre
ersten gegenständlichen Bilder seit 2007. Der Begriff ‚Gegenstand’ kommt ja eigentlich
von ‚gegenstehen’ bzw. ‚entgegenstehen’ – aber es ist auch das Substitut für das Wort
‚Objekt’ aus dem Lateinischen ‚obiectum’: ‚das Entgegengeworfene’. Die Affinität
des Wortes ‚Gegen-stand’ zur physischen Präsenz des Faktischen bekommt in der
Vergegenständlichung einer Situation in Form eines gemalten Bildes dann eine doppelte
Bedeutung: Die Komplexität eines erlebten Moments wird Gegenstand – gegenständlich
und damit auf eine verblüffend direkte Art greifbar und – vielleicht nur vermeintlich –
verstehbar.
Der Haiku ist eine Form der japanischen Poesie. Ursprünglich der erste Vers in einem
Kettengedicht, besteht er aus einem oder mehreren Sätzen, mit insgesamt 17 in 5/7/5
gegliederten Silben. Neben der Anwesenheit eines Wortes, das auf eine Jahreszeit
verweist, kigo genannt, ist es nötig, dass der Haiku hai-i, den Geist des Haiku enthält. Er
ist ein Schnitt in der Natur und zeigt dynamische Momente, die von Wechsel, Flüchtigkeit
und Umwandlung geprägt sind. Hinter dem Haiku steht kein Inhalt den er ausdrücken
möchte. Er ist frei von Sinn und benennt lediglich, was an sich vorhanden ist. Die
japanische Dichtkunst bewertet nicht. Es gibt eine Art und Weise, Schiff, Fels, Gischt,
Frosch, Rabe, Hagel, Reiher Chrysantheme zu sagen, die jeweils alles enthält. Der Haiku
wird einmal verlesen und danach ein weites Mal verlesen, so dass ein Echo entsteht, das
einen Raum aufzuspannen vermag und in der Differenz der unterschiedlichen Klänge die
Ganzheit der Situation erhalten bleibt.
Die Weide
betrachtet umgekehrt
das Bild des Reihers.
Die Weide
betrachtet umgekehrt
das Bild des Reihers.
-Bashô, 17 Jh
Anna Jessen
90 × 130 cm
35 × 50