Ordnen, schichten, sortieren – das Tolle an künstlerischer Praxis ist, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind, alle Teilnehmenden aber ständig daran arbeiten, diese Grenzen zu erweitern.
Dabei entsteht ein stetiger Prozess der Ermöglichung neuer Formen und deren Ordnungen. Was daran so toll sein soll, erklärt sich bei einem Blick auf zwei verschieden platzierte Schraubenzieher. Ein roter Schlitz-Schraubenzieher befindet sich auf der Erde, in der Hand eines älteren Menschen. Die Zahl seiner Einsatzmöglichkeiten ist sehr groß: Schrauben drehen, Büchsen öffnen, Farben vermischen, Schriftzeichen einritzen und eben indefinit mehr. Hingegen schwebt ein grüner Schraubenzieher, Kreuzschlitz, Lichtjahre entfernt vom nächsten Gegenstand im Weltall. Zwar sind dessen Einsatzmöglichkeiten genauso indefinit, aber sie sind in ihrer derzeitigen Anzahl offensichtlich wesentlich kleiner, da mit jedem Interaktionsobjekt die Anzahl der Möglichkeiten der Verwendung steigt.
So unvorstellbar, wie die kommenden Einsatzmöglichkeiten des roten Schraubenziehers sind, so unvorstellbar sind dementsprechend die Entwicklungen der bildenden Kunst, denn jeder Form- und Ordnungsvorgang künstlerischer Praxis erschafft einen neuen Anknüpfungspunkt. Wer jetzt noch daran zweifelt, was den Spaß produziert, den künstlerische Praxis für alle Teilnehmende, also Künstlerinnen und Beobachterinnen, ausmacht, sollte sich zusätzlich kurz das Bild einer Glückspielerin vor Augen rufen, die sich freudvoll dem Zufall übergeben hat. Dieser Moment des Hoffens auf das Eintreten einer Ordnung – ohne dass deren kausalen Zusammenhänge nachweisbar wären – und das Glücksgefühl, wenn eine funktionierende Ordnung der Formen dann tatsächlich eintritt, lassen bekanntlich einiges an Begeisterung entstehen.
Künstlerische Praxis, so wie Benjamin Dittrich, Stefan Guggisberg, Martin Reich und Simon Rübesamen sie durchführen, ist also immer auch die Freude daran, dass Menschen es geschafft haben, so viele Möglichkeiten zu eröffnen mit einem Schraubenzieher umzugehen – oder eben aus verschiedensten Materialen und Quellen wiederum künstlerische Werke zu schaffen. Dies entspricht dabei der Freude am Zufall, am Eintreten von (noch) Unerklärlichem, am Verzicht auf kausale Zusammenhänge in der ästhetischen Produktion. Dass diese Prozesse immer so weitergehen könnten, sich aufeinander aufbauend immer weiter potenzierend, sie vielleicht nur genauso endlich sind wie das Universum, das ist doch irgendwie umwerfend, oder?
Johannes Listewnik, 2019