Bea Meyer thematisiert in ihrer Ausstellung ROT ¤ WEISS ¤ HOCKEN ¤ HEIM zwei sehr unterschiedliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die eng mit Vorurteilen und klischeebesetzten Vorstellungen einhergehen: die Formel 1 und das Stillen. Bea Meyer zeigt zum einen die Grundrisse aller 19 Renn-strecken der Formel 1, die es von Australien über Deutschland bis Brasilien gibt. Sie greift die abstrakten Formen der Strecken auf und zeigt im Nebeneinander deren unterschiedliche Verläufe, die von ihr in Strickbilder übersetzt werden. Die Strecken sind mit roter Wolle gestrickt und mit rohweißem Grund umfasst. Meyer zweckentfremdet das Stricken, fertigt keine Pullover oder Handschuhe, sondern Bilder, deren formale Qualität sie als eigenständige Kommentare und Erzeugnisse im Kunstkontext ausweist. Sie überträgt die Koordinaten eines ausschließlich Männern vorbehaltenen Sports in ein im weitesten Sinne Frauen zugeschriebenes Terrain. In der Menge der Bilder wird deutlich, wie beschränkt die Bewegungsfreiheiten im Rennen sind, wie eng und vorgegeben der Ablauf ist. Der Rundkurs wird zu einem Strickmuster. Den anderen Bildern ihrer Ausstellung liegen Stillprotokolle zu Grunde. Für den Betrachter erschließt sich dieser spezielle Zusammenhang allerdings kaum. Zu sehen ist ein abstraktes Muster, das Meyer auf großformatige Metallplatten lackiert hat und das an konzeptuelle oder minimalistische Bildfindungsprozesse denken lässt, aber nicht an ein persönliches und intimes Protokoll über das Stillverhalten eines Kindes. Meyer dokumentiert einen privaten und intimen Bereich, ohne dabei das Private exhibitionistisch werden zu lassen. Gleichzeitig demontiert sie den Mythos erzwungener Mutter-Kind-Harmonie, in dem sie ein kühles und distanziertes Verfahren der Darstellung wählt und Stillen als statistische Größe vorführt, das einer Reihe an intensiven Schwankungen unterworfen ist. Meyer schafft es in beiden Arbeiten, die Grundstrukturen und möglichen Widersprüche, Verhärtungen und Absurditäten der jeweiligen Abläufe offenzulegen. Während die Rennstrecken en miniature präsentiert werden und erst in dieser Maßstabsverkleinerung die oben beschriebene Analyse zulassen, werden in den Stillprotokollen Form und Inhalt vergrößert und soweit abstrahiert, dass eine grundsätzliche Diskussion auch hier möglich wird. Bea Meyer zeigt wie sehr alle Beteiligten, unabhängig vom sozialen und gesellschaftlichen Status, in der Endlosschleife ihrer Rollenzuschreibungen fest hängen. Die Technik der künstlerischen Übertragung und Darstellung spielt eine zentrale Rolle in der Arbeit von Bea Meyer. Sie kontrastiert, überarbeitet und interpretiert die unterschiedlichen Materialien präzise und zugleich subtil. Die Künstlerin schafft es die vorgegebenen Bedeutungsebenen von bestimmten Materialien und Gebrauchsweisen in Frage zu stellen, ohne dabei stereotyp oder klischeehaft zu argumentieren. In der aktuellen Ausstellung ist die Übersetzung in konzeptuelle, geometrische Malerei oder in Strickbilder befreit von jedem expressiven Moment und befragt in erster Linie ein technisches Reproduktionsverfahren auf seine ästhetischen Qualitäten. Die rationalen und emotionalen Anteile werden von Meyer geschickt ausgetauscht und die klaren Frontlinien zwischen männlichen und weiblichen Positionen verschoben. Den persönlichen Lebenshintergrund und nicht zuletzt auch die spezifischen Bedingungen der gesellschaftlichen Rolle als Frau klar zu benennen und die formalen Herausforderungen des Materials souverän zu beherrschen, ermöglicht eine intensive Konfrontation mit den genannten Inhalten im Spannungsfeld zwischen künstlerischer Arbeit und gesellschaftlichem Kommentar.
Maik Schlüter, freier Kritiker und Kurator, Braunschweig VG-Wort, Bonn 2006