Galerie b2

Die Ausstellung TOACTUALLY QIMAIKE IN THESE! der Galerie b2_ zeigt Arbeiten von Christian Schellenberger und Daniel Poller, die zum einen in China und zum anderen in Ungarn entstanden sind. In ihren Arbeitsprozessen setzen sie sich auf unterschiedliche Weise  mit der Vielschichtigkeit von temporalen Strukturen des öffentlichen Raumes auseinander.

Christian Schellenberger nutzt Straßen und Cafés der Großstädte, Züge und andere Verkehrsmittel als seinen primären Arbeitsraum. Unter erschwerten Bedingungen, angestoßen und angetrieben von einer Situation, die zeitlich und räumlich begrenzt ist, entwirft er schriftartige Zeichnungen, die jedes Mal eine neue Umgebung aufnehmen und sich mit seinem subjektiven Jetzt-Zustand verknüpfen.

Daniel Pollers dokumentarisches Fotoessay „field notes of fences“ legt verschiedene Kräfteverhältnisse offen, die – unter Rückgriff auf eine spezifische Vergangenheit  – in der Gegenwart an der Zukunft des sogenannten „politischen Hauptschauplatzes“ Ungarns wirken.

Die Ausstellung wird durch eine Lesung von Graffitimuseum ergänzt, das zur Finissage am 7. August den Gedichtband CALYBA vorstellt, in welchem Tags zu Lautpoesie verdichtet werden.

In TOACTUALLY QIMAIKE IN THESE! stellt Christian Schellenberger zum einen eine neue Serie von Zeichnungen vor, die er während seiner Zugfahrten von Berlin nach Peking und auf vielen Reisen innerhalb Chinas entwickelte. Während einer Zugfahrt verwischen die Grenzen zwischen Innen und Außen, zwischen Bewegung und Stillstand. Eine Verstärkung dieser Bedingungen erfährt Schellenberger beim Akt des Zeichnens, welcher immer mit einer gewissen Sensibilisierung einhergeht. Er verbindet sich mit der Maschine Zug, die durch die unbekannten Landschaften fährt, während die dadurch automatisierten Bewegungen seiner Hand auf dem Papier Striche und Linien erzeugen. Zum anderen wird die Serie „Buildings & Busrides“ gezeigt, bei der es sich um Siebdrucke auf Digitaldruckfolien handelt. Die Vorlagen für die Folien wurden in täglichen Zeichensessions in einer Shoppingmall in Peking angefertigt.

Unter dem Eindruck der dort herrschenden Betriebsamkeit kritzelt Schellenberger bis ein schriftartiges Element entsteht, das sowohl mit dem bereits Gezeichneten korrespondiert als auch seiner inneren Verfassung entspricht. Wenn dieses da ist, geht er systematisch vor, zeichnet es wiederholt und bewegt sich dabei von links nach rechts und von unten nach oben. Die Wiederholung widersteht der Idee des Neuen, doch für Schellenberger kann das so selten Neue gerade aus dem Prozess der Wiederholung resultieren. Die Linien und Zeichen verändern sich langsam und bilden eine in die Höhe wachsende verdichtete Gitterstruktur. Die gedehnten Formate erinnern an zu schnell gebaute und schon bröckelnde Wolkenkratzer. Sie funktionieren wie eine Datenbank oder ein Schriftsystem, in welchem das Ikonische seine Bedeutung eingebüßt hat.

 

Christian Schellenberger Serie von Zugzeichnungen (Berlin–Beijng), 2014
Rohrfeder und Tusche auf Papier
je 42 × 95,4 cm
Christian Schellenberger
Buildings & Busrides, 2015
Siebdruck auf Digitaldruckfolie
Christian Schellenberger
Buildings & Busrides, 2015
Siebdruck auf Digitaldruckfolie
299 × 76 cm
Christian Schellenberger
Buildings & Busrides, 2015
Siebdruck auf Digitaldruckfolie
473 × 76 cm
Christian Schellenberger
Buildings & Busrides, 2015
Siebdruck auf Digitaldruckfolie
223 × 75 cm

Daniel Poller

Daniel Poller bewegte sich bei einem Aufenthalt in Budapest mit der Kamera um das ungarische Parlamentsgebäude. Der davor gelegene Kossuth-Platz befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Rekonstruktion. Bereits 2010 hatte die ungarische Regierung unter Victor Orbán beschlossen, dem Kossuth tér das Aussehen von vor 1944 zurück zu geben. Dadurch sollte auch der neuen Verfassung und der damit vermeintlich zurückeroberten Unabhängigkeit Ungarns Ausdruck im öffentlichen Raum verliehen werden. Historische Ansichten des Vergangenen und digitale Renderings des Kommenden zeigten sich auf den Bauzäunen und überlagerten den gegenwärtigen Stand des Kossuth-Platzes. Kurz bevor Poller seine Aufnahmen machte, ließ die mit absoluter Mehrheit im Parlament ausgestattete Fidesz-Regierung das dort stehende Denkmal Mihály Károlyis demontieren und plante dieses durch Istvan Tiszas 1945 zerstörte Monument zu ersetzen. Heute ist dieser Prozess abgeschlossen, das historische Narrativ ist aus der Sicht national-konservativer Kräfte Ungarns um einen Nestbeschmutzer bereinigt und die Geschichte revidiert. „field notes of fences“ mündete in ein Künstlerbuch (2014), das sich dem Prozess dieser historischen Diskontinuität im Aufeinanderprallen von Bildräumen widmet und selbst eine gebrochene Erzählung erzeugt. Doch obwohl der Bildersturm auf den Kossuth tér nun bereits schon wieder in der Vergangenheit liegt, bleibt die Frage nach der Konstruktion eines historischen Gedächtnisses hochaktuell. In der Galerie b2_ zeigt Daniel Poller „field notes of fences“ nun als Dreikanal-Diaprojektion, welche die einzelnen Bilder immer wieder miteinander kollidieren lässt und so einen dynamischen Bildraum erzeugt.

Daniel Poller square heroes, 2015
8 archivfeste Inkjet-Prints
je 14 × 19 cm, Auflage 3 + 2
Daniel Poller
field notes of fences, 2015
Dreikanal-Diaprojektion Maße variabel
Daniel Poller
field notes of fences, 2015
Dreikanal-Diaprojektion Maße variabel
Daniel Poller
field notes of fences, 2015
Dreikanal-Diaprojektion Maße variabel
Daniel Poller
field notes of fences, 2015
Dreikanal-Diaprojektion Maße variabel
Daniel Poller
field notes of fences, 2015
Dreikanal-Diaprojektion Maße variabel